Gregor - Beruf
Die berufliche Situation Gregors spielt bereits zu Beginn eine entscheidende Rolle, denn beim Erwachen erblickt dieser die Musterkollektion auf dem Tisch während er den Käferkörper im Bett wälzt. Somit wird dem Leser suggeriert, dass Beruf und Verwandlung in einem gewissen Beziehungsgefüge miteinander verknüpft sind und einander bedingen. Gregor berichtet aus seiner Perspektive, wie sehr ihm der Beruf verhasst ist und das das dieser lediglich zum Schulden abzahlen der Eltern dient.
Auch hier ergeben sich einige Parallelen zu Kafkas leben, da dieser eigentlich den Wünsch verspürte, Philosophie zu studieren, doch entschied er sich unter dem Einfluss des Vaters für ein Studium der Rechtswissenschaften. Der Vater lenkte das Familiengeschehen, denn auch die Mutter und später auch teilweise die Kinder mussten im Geschäft mitarbeiten.
Ansprüche auf ein selbstbestimmendes Leben, welche Gregor angesichts seiner Eltern unterdrückt, kommen gegenüber dem Chef zumindest in seiner Phantasie zum Ausdruck. Gregors Einstellung zu seinem Beruf erweist sich somit als durchaus zwiespältig: Einerseits verhält er sich dem Prokuristen gegenüber devot und unterwirft sich ihm, doch andererseits entwickelt er Rachefantasien- so stellt er sich die Kündigung vor- doch sein Handeln bleibt hinter den Wünschen und Vorstellungen zurück. Diesen unterdrückten aggressiven Impuls hinter der von Normen und Konventionen bestimmten Fassade musste auch Kafka zeitlebens spüren, denn seine Anstellung in einer Versicherungsgesellschaft und sein schneller Aufstieg in dieser dienten lediglich dem Lebensunterhalt, doch sah er diese Arbeit als eine essentielle Behinderung an seiner eigentlichen Arbeit, welche er nur noch nachts verüben konnte: das Schreiben.
Gregors Überlegungen zeigen die harten Umstände und das Abhängigkeitsverhältnis auf, unter denen dieser arbeiten muss: Ein Geschäftsdiener überwacht die pünktliche Ankunft Gregors am Bahnhof und Krankmeldungen werden durch den Chef oder einen Krankenkassenarzt vor Ort geprüft, wobei für den Arzt lediglich gesunde, oder aber arbeitsscheue Menschen existieren. Das verspätete Erscheinen Gregors verursacht somit das Eintreffen eines Angestellten und die in einer wirtschaftlich radikal aufstrebenden Zeit nicht unüblichen Kontrollmechanismen aufgrund des Misstrauens der Geschäftsleitung gegenüber dem Angestellten wird verdeutlicht.
Zunächst scheinbares Verständnis vorheuchelnd, meint der Prokurist schließlich, dass Gregor eine leichte Erkrankung zum Fehlen ausnutze und deutet an, dass der Chef Gregor verdächtige, diesem Geld unterschlagen zu haben. Es werden folglicherweise ohne Kenntnis der wahren Ursache Unterstellungen und Beschuldigungen ausgesprochen, welche belegen, dass der Einzelne im ökonomischen Prozess keinerlei Recht, Schutz oder Anspruch auf menschenwürdige Behandlung hat- es ist die Aufgabe der Angestellten, im Arbeitsprozess wie eine Maschine zu funktionieren und tragischerweise war dies die Realität um die Jahrhundertwende.
Gregor ist nicht in der Lage, angemessen auf den Prokuristen zu reagieren, da die Jahre der Unterdrückung Spuren hinterlassen haben. In seinem Monolog versucht er, sich zu entschuldigen und den Prokuristen durch Unterwerfung für sich zu gewinnen. Seine Bitte wirkt jedoch grotesk, da seine Tierstimme nicht mehr verstanden werden kann.
Mit dieser langen, monologischen Ansprache beendet Gregor die Kommunikation mit der Umwelt und bleibt fortan stumm- er zeigt sich damit auch zum letzten Mal als angepasster, heuchlerischer und angstvoller Untertan, der nur in Gedanken eine Rebellion wagt.


von Linda Krause


 


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